Wer nicht gern Traktor fährt, muss nicht Bauer werden

Wer nicht gern Traktor fährt, muss nicht Bauer werden

14 Porträts von Stiftinnen und Stiften aus der Schweiz

Mit Texten von Ursula Binggeli, Frank von Niederhäusern, Bruno Rauch, Karl Wüst, Judith Wyder / Mit Fotografien von Ennio Leanza / Mit einem Vorwort von Rudolf H. Strahm / Herausgegeben von Schweizer Feuilletondienst (SFD)

160 Seiten, 56 Abb., gebunden
Dezember 2012
SFr. 34.–, 38.– €
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978-3-85791-691-5

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In der Schweiz absolvieren zwei von drei Jugendlichen eine Berufslehre. Die meisten lassen sich zum Kaufmann beziehungsweise zur Kauffrau ausbilden. 230 berufliche Grundbildungen bieten sich für angehende Lehrlinge, vierzehn davon, bekannte und unbekannte, stellt das Buch vor. Die porträtierten Jugendlichen lernen in Dörfern und Städten verschiedener Regionen der Schweiz Landwirt, Pferdefachfrau, Papiertechnologe, Winzerin oder Uhrmacher. Sie erzählen über Motivation und Arbeitsalltag, über die Berufsschule, über Zukunftspläne und -träume. Auch wenn nicht immer und überall die Sonne scheint, belegen die Geschichten die Vorteile eines dualen, offenen und vielfältigen Berufsbildungssystems: Die Lernenden erhalten eine solide Ausbildung mit der Chance zur Weiterbildung. Eine Kombination von unschätzbar integrativem Wert.

Schweizer Feuilletondienst (SFD)

Schweizer Feuilletondienst (SFD)

Als kultureller Informationsdienst schreibt der SFD tagesaktuell über Theater- und Tanzpremieren, über Kunstausstellungen und Konzerte in der ganzen Schweiz, und er bespricht jeweils die belletristischen Neuerscheinungen auf dem Deutschschweizer Büchermarkt. Kleine Häuser berücksichtigt er ebenso wie grosse, junge Autoren ebenso wie arrivierte. Randständige Kunst liegt dem SFD gleichermassen am Herzen wie der Mainstream.

Doch der SFD berichtet nicht nur über die kulturelle Aktualität. Da er als verständigungspolitische Organisation durch das Bundesamt für Kultur (BAK) finanziert und von den Kantonen subventioniert wird, schreibt er auch thematische Artikelserien über die vier- bzw. vielsprachige Schweiz.

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Die Berufslehre ist überlegen

Von Rudolf Strahm

Françoise Schmid, Kaminfegerin

Von Ursula Binggeli

Tabea Martin, Theatermalerin

Von Bruno Rauch

Olivier Grosjean, Uhrmacher

Von Frank von Niederhäusern

Silvan Ebener, Seilbahn-Mechatroniker

Von Bruno Rauch

Gloria Clalüna, Medizinische Praxisassistentin

Von Karl Wüst

Carlo Gomes, Müller

Von Ursula Binggeli

Maeva Béchir, Pferdefachfrau

Von Judith Wyder

Mehmedali Vrangala, Papiertechnologe

Von Judith Wyder

Cleo Krebs, Schuhmacherin

Von Ursula Binggeli

Moriz Erni, Landwirt

Von Karl Wüst

Erich Zwyer, Blasinstrumentenreparateur

Von Bruno Rauch

Sonja Monn, Steinmetzin

Von Bruno Rauch

Olivia Ritler, Glasmalerin

Von Ursula Binggeli

Ilona Hunkeler, Winzerin

Von Judith Wyder

Die Berufslehre ist überlegen von Rudolf Strahm

So etwas ist aussergewöhnlich: Die vierzehn Porträts im vorliegenden Buch werfen für einmal Blicke in die Welt der Lehrlinge. Von studentischem Leben und akademischen Karrieren lesen wir täglich. Doch die Welt der Berufsbildung wird verkannt. Viele Akademiker wissen nicht genau, was eine Berufslehre ist. Und Medienleuten erscheint die komplexe Welt des Berufsbildungssystems wie eine Blackbox, obschon die Berufslehre von grösster Bedeutung und Verbreitung ist. Denn in der deutschen Schweiz beginnen zwei Drittel der Jugendlichen ihre Berufskarriere mit einer dualen Berufslehre. Dual heisst: Eine Kombination aus betrieblicher Ausbildung und dem Besuch einer Berufsfachschule.

Wir kennen in der Schweiz zweihundertdreissig zertifizierte, vom Bund anerkannte Berufsabschlüsse mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis EFZ. Und in der höheren Berufsbildung gibt es über fünfhundert anerkannte Abschlüsse. Unser Berufsbildungssystem verkörpert in seiner Gesamtheit ein komplexes und leistungsfähiges Institutionengefüge zur Berufsintegration. Darüber hinaus ist es ein Wohlstandsmotor, der die Schweiz trotz hoher Löhne und Preise im internationalen Wettbewerb bestens positioniert.

Wertschätzung für die praktische Intelligenz

Lesen Sie die vierzehn Lehrlingsporträts, und Sie werden erstaunt sein über die Vielfalt der Berufe und vor allem auch über die Kompetenzen, Fertigkeiten und Fachkenntnisse, die jeder dieser Berufe von den Lernenden erfordert.

Welche Vielfalt weisen in diesen Berufen die nichtschulischen Fähigkeiten auf! Da braucht es handwerkliche Fingerfertigkeit oder ein Flair für technisches Vorstellungsvermögen und Arbeiten. Der Seilbahn-Mechatroniker sagt: «Man muss schon ein wenig angefressen sein von Technik». Oder es braucht Präzision beim Uhrmacher und in fast allen technischen Berufen. Oder es ist Kreativität «zwischen Kunst und Handwerk» gefragt, wie es die Theatermalerin beschreibt. In anderen Berufen wiederum ist emotionale Intelligenz und Sozialkompetenz vorrangig. In allen Berufen jedoch braucht es Exaktheit, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Termintreue.

Alle diese Kompetenzen gehören zur «praktischen Intelligenz». Auf schulischem Weg sind diese Qualitäten nicht erlernbar. Sie können nur in der Praxis entwickelt, vervollkommnet und geprüft werden. Rein schulische Bildungsgänge können die praktische Intelligenz nicht prüfen und nicht bewerten. In der Berufslehre jedoch gelten sie in der Notengebung neben dem Fachwissen als matchentscheidend.

Viele akademisch Gebildete wissen nicht genau, was praktische Intelligenz bedeutet. Praktische Intelligenz ist «die Fähigkeit, Fachwissen auch anwenden zu können», wie es die Freiburger Psychologieprofessorin Margrit Stamm definiert. «Hohes Fachwissen allein führt noch nicht zu einem hohen Expertisierungsgrad, sondern nur zusammen mit der Fähigkeit, es auch anwenden zu können».

Die Berufsbildung kombiniert beides: schulisches Fachwissen mit Transferkompetenz in die Berufspraxis. Sie kommt dem Pestalozzi-Bildungideal, nämlich Entwicklung von «Kopf, Herz und Hand» , näher als das heutige Bildungssystem mit der rein schulisch-kognitiven Selektion.

Es gibt intelligente Jugendliche, die zwar gute schulische Fähigkeiten besitzen, aber einseitig begabt sind: zum Beispiel junge Männer und Frauen, die mathematisch begabt sind, mit den Sprachen aber auf «Kriegsfuss» leben und hier konstant schlechte Noten produzieren. Sie scheitern beim Einstieg ins Gymnasium, weil die Examen stark sprachlastig sind. Mit der Berufslehre jedoch haben sie die Chance zu einer glänzenden Berufskarriere. «Kluge Köpfe – goldene Hände»: So beschreibt Margrit Stamm die überdurchschnittlich begabten Lehrlinge in der Berufsbildung.

Es gibt auch Jugendliche, die durchaus zum vollschulischen Bildungsweg des Gymnasiums befähigt wären. Aber mit sechzehn sind sie schulmüde, möchten «etwas Praktisches tun», möchten sich mit Technik, mit Materialien oder mit Menschen befassen, und nicht weiter mit Schulstoff. Manchmal quälen sie sich dennoch durchs Gymnasium und werden unglücklich. Etwa 15 Prozent der Gymnasiumsschüler(innen) steigen aus und wechseln zu einer Berufslehre.

Berufslehre als wichtigstes Integrationsmodell

Mehrere Lehrlinge, die in diesem Buch beschrieben werden, haben einen Migrationshintergrund oder, wie zum Beispiel im dreisprachigen Kanton Graubünden, eine fremdsprachliche Herkunft. Für sie alle ist die Berufslehre eine exzellente Chance zur Integration. Denn in der Schweiz läuft die Integration über den Arbeitsmarkt. Wer einen Beruf ausübt, gilt als integriert. Und umgekehrt, wer sich gesellschaftlich integrieren will, schafft dies über den Arbeitsmarkt. «In dr Schwyz muesch Lehr mache, sunsch bisch nüt», sagt eine hier lebende Frau aus dem Balkan zu ihrem frisch zugewanderten Neffen.

Viele Eltern aus Südeuropa und aus dem Balkan, wo die Berufslehre nicht bekannt, haben Mühe mit dem schweizerischen Berufsbildungssystem. Sie erwarten insgeheim von ihren Kindern, dass sie zur Universität gehen und Doktor(in) werden. Und die Jugendlichen träumen davon, Profi-Fussballer oder Model zu werden. Es braucht sehr viel Anstrengung der Berufsberater, der Coaching Personen und der Verantwortlichen des Case Management, um die Jugendlichen in eine geeignete Berufsausbildung zu führen. Die Berufsberater(innen) und die Oberstufenlehrpersonen sind die wichtigsten, ja entscheidensten Scharnierfiguren zwischen Schule und Arbeitswelt.

Blicken Sie mal in die Vorstädte von London, Manchester oder Rom, in die Banlieus von Paris, wo die Mehrheit der Bewohner aus Eingewanderten besteht. Die Hälfte der Jugendlichen oder mehr haben keine nachschulische Ausbildung und keine Jobs. Oder sie haben sogar die schulische Sekundarstufe II (Baccalauréat, Liceo, GCE A-Level) abgeschlossen, kommen danach aber nicht weiter zur Tertiärausbildung auf der Hochschulstufe. Für diese Jugendlichen «zwischen Stuhl und Bank» gibt es dort keine Möglichkeit einer Berufslehre, einer berufspraktischen Qualifizierung, es gibt bloss ein On-the-Job-Training zum Hilfsarbeiter. Demgegenüber bietet die schweizerische Berufslehre auch Migrationsjugendlichen, schulisch Schwächeren und Schulmüden eine berufliche Qualifizierung.

Duales Berufsbildungssystem ist arbeitsmarktlich überlegen

Nur fünf Länder in Westeuropa kennen ein duales Berufsbildungssystem mit einer Berufslehre: die Schweiz, Österreich, Deutschland, Holland und Dänemark. Die angelsächsischen und lateinischen Länder kennen das duale Berufsbildungssystem nicht. Auch Finnland kannte bisher die betriebliche Berufslehre nicht.

Diese Berufsbildungsländer haben permanent eine signifikant tiefere Jugendarbeitslosigkeit als die anderen Industrieländer mit nur vollschulischen Bildungsgängen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist der wichtigste Indikator für die Arbeitsmarktfähigkeit eines Bildungssystems. Mitte 2012 verzeichnete Eurostat für die EU insgesamt eine Jugendarbeitslosenquote von 23 Prozent. Frankreich hatte 23 Prozent, Italien 36 Prozent, Griechenland und Spanien sogar über 50 Prozent registrierte arbeitslose Jugendliche. Dagegen hatten die Berufsbildungsländer Deutschland, Österreich, Holland, Dänemark und die Schweiz Jugendarbeitslosenquoten von deutlich unter 10 Prozent. Die Schweiz als Spitzenreiterin verzeichnete Mitte 2012 bloss 2,6 Prozent arbeitslose Jugendliche. Dieser Wert schwankt zyklisch zwischen 3 und 5 Prozent im Jahresverlauf. Im Spätsommer steigt er nach dem Schul- und Lehrabschluss vorübergehend an und fällt dann in den folgenden Monaten zurück.

Finnland ist mit seinem sehr guten Schulsystem das Musterland bei den Pisa-Tests. Doch trotz guten Schulen verzeichnet es eine Jugendarbeitslosenquote von 19 Prozent. Das Land kannte bislang das Dualsystem nicht und ist jetzt daran, eine Art betrieblichschulische Lehre einzurichten. Auch die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD), die lange Jahre die Berufslehre ignorierte und gar nicht als Bildungsgang statistisch erfasste, empfiehlt heute mit dem offiziellen Bericht «Lernen für die Arbeitswelt» (2010), eine Art praxisbezogene Berufsausbildung einzuführen. Dort, wo die Berufslehre historisch nicht verankert ist, ist eine Einführung des dualen Bildungssystems kaum möglich – zumal die Eliten traditionell auf ihr akademisches System der Universitäten versessen sind.

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Basler Schulblatt, Dezember 2012
active live, Februar 2013
«Die Berufslehre mit begleitendem Schulbesuch in allgemeinbildenden und berufspezifischen Unterrichtsfächern gilt europaweit als Schweizer Erfolgsmodell, und die Porträts von Stiftinnen und Stiften aus der Schweiz bestätigen diese Einschätzung.» Basler Schulblatt

«Die Geschichten [belegen] die Vorteile eines dualen, offenen und vielfältigen Berufsbildungssystems.» active live
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