Lichtspuren
Brigitte Kuthy Salvi

Lichtspuren

Übersetzt von Katja Meintel

160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
August 2010
SFr. 29.80, 29.80 €
sofort lieferbar
Titel der Originalausgabe: «Double lumière»
978-3-85791-614-4

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Schlagworte

Literatur
     

Sehen ohne Augen bedeutet, die Welt anders, neu wahrzunehmen. Wie das möglich ist, davon schreibt Brigitte Kuthy Salvi. Sie nimmt die Leserinnen und Leser mit auf eine poetische Reise, etwa ans Krankenbett der Fünfzehnjährigen, der eröffnet wird, dass die versuchte Operation erfolglos war, und die nun daliegt und sich überlegt, wie ein Weiterleben möglich sein kann, ohne jemals die Sterne wieder zu sehen. Sie führt uns in Ausstellungen oder lässt uns einen Blick werfen in die Küche, wo sie ein Nachtessen für Gäste zubereitet. Das alles sind Orte, an denen die Augen eigentlich dringend benötigt würden. Doch Brigitte Kuthy Salvi zeigt in einer bildreichen leichten Sprache, dass Sehen viel mehr ist als die Wahrnehmung mit den Augen. Schreiben begleitet Brigitte Kuthy Salvi seit ihrer Kindheit. Dabei ist nicht bloss das Erzählen in schriftlicher Form von Bedeutung, sondern ebenso die leidenschaftliche Suche nach einer poetischen Stimmung im Schreiben selbst – im Wort und im Raum zwischen den Wörtern.

Brigitte Kuthy Salvi
© Limmat Verlag

Brigitte Kuthy Salvi

Brigitte Kuthy Salvi wurde 1958 in Paris geboren. Als sie elf Jahre alt war, zog ihre Familie nach Bern, in der Folge wuchs sie zweisprachig auf. Mit fünfzehneinhalb Jahren erblindete sie. Dank der Unterstützung ihrer Familie, von Freundinnen und Freunden, Lehrern und Fachpersonen konnte sie in die Schule und in das Leben zurückkehren. Es folgten das Gymnasium in Neuenburg und das Jusstudium in Bern. Sie ist als selbständige Anwältin tätig.

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Aufmerksamkeit

«Man müsste mit geschlossenen Augen malen.»
Zoran Music, Jean Clair:
La barbarie ordinaire. Music à Dachau

 

Mit großer Achtsamkeit hast du mir jenes Geschenk überreicht, das als Stärkung, als Trost für die Trauer, die mich erwartete, gedacht war.


So, als käme dir nichts an dieser Geste seltsam vor. Ich nahm es mit der gleichen Selbstverständlichkeit entgegen.

Du warst mein «anderer Vater». Nicht der, der mir das Leben geschenkt hatte, sondern der Mann, der in dem Sommer, als ich sechs Jahre alt war, in einem Garten meiner Kindheit auftauchte, einem Garten, umhüllt von Jasminduft, den leuchtend violette Bougainvillea erstrahlen ließ vor der Mauer des weißen Hauses in Karthago.

Mama und ich waren eingeladen, den Nachmittag in diesem zauberhaften Garten zu verbringen.

Du warst da.

Als die Ferien vorbei waren, kehrten wir heim nach Paris.

Du auch.

Kurze Zeit später zogst du bei uns ein.

Das Geschenk war die Lithographie einer japanischen Malerin, Teruko Yokoi, für die du mehrere Ausstellungen organisiert hattest.

Sie selbst hatte es dir für mich gegeben.

Die Nachricht meines Verlustes hatte sie aufgewühlt. Sie wus-ste, wie sehr ich die Malerei liebte. Kurz bevor ich das Augenlicht verlor, hatte ich mit dem Malen begonnen. Ich hatte keine Technik, konnte nur Schwüngen, Bewegungen, Formen und Farben Ausdruck geben. Mein letzter Versuch war ein Bild aus Flammen, auf dem der Körper einer Frau zu tanzen schien und mit dem Feuer verschmolz. Es war lebendig, bedrohlich, verführerisch.

Sie hatte das Geschenk ganz natürlich gefunden: eine Lithographie, die den Sonnenaufgang symbolisiert. Gelbe und schwarze Flecken auf weißem Hintergrund. Mit großer Sorgfalt beschriebst du mir, was du sahst, indem du mit meinem Zeigefinger einen Zentimeter über dem Papier in die Luft zeichnetest, um es nicht zu beschädigen. Dann rahmtest du das Werk und hängtest es in meinem Zimmer auf.

Ich habe die «Aufgehende Sonne» in mein neues Leben mitgenommen.

Es war für mich lebensnotwendig, dass die Sonne weiter aufging.

Ich wollte dazugehören, immer noch.
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