Bilder, leicht verschoben. Zur Veränderung der Fotografie in den Medien

Bilder, leicht verschoben. Zur Veränderung der Fotografie in den Medien

Mit Bildern von Peter Ammon, René Burri, Werner Bischof, Theo Frey, Herbert Matter, Martin Rütschi, Christian Schwager, Jules Spinatsch u. a.

Mit Texten von Matthias Vogel, Katri Burri, Ulrich Binder, Bättig, Adrian, Sabine Münzenmaier / Herausgegeben von Matthias Vogel, Ulrich Binder

184 Seiten, 323 Fotografien und Abbildungen, vierfarbig, Grossformat
November 2009
SFr. 44.–, 29.50 €
vergriffen
978-3-85791-590-1

Schlagworte

Fotografie
     

Die Aufnahmetechnik der Fotografie legt ihre Bilder in Format, Farbe und Materialität nicht fest. Der detailtreue Blick auf die Welt verändert sich mit jeder neuen Präsentation: Ein Abzug auf Fotopapier unterscheidet sich vom Abdruck desselben Bildes in der Zeitung, im Fotobuch oder als Kunstpostkarte nicht nur in materieller Hinsicht, die jeweilige Umgebung prägt auch die rezeptive Einstellung. Insofern haftet jeder aktuellen Erscheinung einer Fotografie die Möglichkeitsform an – sie könnte immer auch ein wenig anders sein. Die verschiedenen Ansichten verdankt sie neben dem Fotografen den Druckern, Layouterinnen, Galeristinnen und Ausstellungsmachern und nicht zuletzt den materiell-technischen Möglichkeiten einer Zeit.
Sind Hersteller und Publikum vor allem am Motiv von Fotografien interessiert, konzentrieren sich die Autorinnen und Autoren dieses Buches auf die Veränderungen, die sich mit jedem neuen Auftritt ergeben und die notwendigerweise auch die Sinnschicht einer Fotografie erfassen.

Matthias Vogel
© Limmat Verlag

Matthias Vogel

Matthias Vogel, geboren 1955. Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Literaturkritik in Zürich, München und Berlin, Forschungs- und Lehraufträge in Zürich, Paris, London, New Haven und New York. Dozent an der Universität Basel und an der Zürcher Hochschule der Künste.

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Ulrich Binder

Ulrich Binder

Ulrich Binder, geboren 1958. Ausbildung zum Künstler in Luzern, Prag und Paris. Studium der Kunstgeschichte in Bern. Arbeitet als Kunstmaler, Autor und Dozent u. a. an der Zürcher Hochschule der Künste. Mitverfasser und Herausgeber verschiedener Publikationen zu Fotografie, Kunst und Architektur.

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Einleitung
Fotografien mit Geschichte
Matthias Vogel

Susstellungsanalysen

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Matthias Vogel

In den Alpen
Ulrich Binder

Schweizer Bergleben um 1950
Ulrich Binder

René Burri
Matthias Vogel

Werner Bischof Bilder
Matthias Vogel

Vergessen & verkannt
Ulrich Binder

Glückliche Stunden
Ulrich Binder

WOZblicke
Matthias Vogel

Die Allmend
Matthias Vogel

Ausstellungsanalysen

Tafeln

Bildbiografien

Kopf oder Plakat ?
Adrian Bättig
Der Rütli-Rapport vom 25. Juli 1940 fotografiert von Theo Frey
Sabine Münzenmaier
Bilder, die wir vergeblich suchen
Katri Burri

TransformatorZeitung

Matthias Vogel

Materielle Transformationen

Ulrich Binder

Epilog

Ulrich Binder / Matthias Vogel

Fotogenres

Ulrich Binder

Vorwort

Bilder im Medientransfer

Eine Untersuchung zu den Auswirkungen medialer Transfers auf Fotografien muss sich auf die Materialität von Bildern einlassen. Dies bedeutet, dass die Untersuchenden gehalten sind, genau zu beobachten, die Beobachtungen zu beschreiben und zu systematisieren. Das beschwerliche Geschäft der Empirie also, das keine Garantie bereithält, zu einfachen, schlüssigen und verallgemeinerbaren Aussagen vorzustossen. Auf dem Gebiet der Fotografie verschärft sich diese Ausgangsbedingung dadurch noch zusätzlich, als ihre Nutzer in der Regel nur an der Durchsichtigkeit ihrer Bilder interessiert sind und die Spuren des Mediums meist als technische Unzulänglichkeit und als störend erachten. Es gibt entsprechend kaum Untersuchungen zu diesem Thema und unsere Arbeitshypothese, dass sich mit der Materialität der Fotografie auch ihre Sinnschicht wesentlich verändert, mag vielen schon gewagt erscheinen.

Genau darin sehen wir einen wichtigen Ansatz dieser Studie. Und deshalb übersehen wir für einmal geflissentlich die Motivwelt des fotografischen Bildes, diese gebannte Wiederholung unserer Lebenswelt, und konzentrieren uns auf die physikalisch-materiellen Ingredienzien, die seine sinnliche Erscheinung tragen und hervorbringen. Nicht nur der räumliche Kontext einer Bildpräsentation, nicht nur der Rezeptionsmodus ist für ein Bild von Bedeutung, sondern auch der tastbare Träger, seine Stärke, der Glanz oder die Mattheit seiner Oberfläche, sein Geruch und die Spuren des Gebrauchs. Das mag für Produzenten eine Selbstverständlichkeit sein, für die Bildwissenschaft ist es dies nicht, selbst wenn sie zunehmend den Prozess der Wahrnehmung und mit ihm den sinnlichen Befund als bedeutungsbildend anerkennt. Dass wir also den Referenten oft ausser Acht lassen und Fotografien vorab mit sich selbst vergleichen, um schliesslich die Differenz zwischen verschiedenen Präsentationen zu beobachten, schuldet sich diesem Ansatz.

Anlass zu dieser Untersuchung gaben die umfangreichen Verschiebungen von Fotobeständen in den vergangenen Jahren. Mit viel Entdeckerfreude und Leidenschaft, aber auch einer gewissen Sorglosigkeit wurden ganze Konvolute in Ausstellungsräume gebracht, Nachlässe von Archiven angekauft oder grosse Pressearchive zum Verkauf angeboten. Diese « Migrationsbewegungen » deuten auf einen Generationenwechsel hin und sind Ausdruck einer gesteigerten Wertschätzung für Fotografie, wie sie nicht nur im Kunstmuseum stattfindet. Mit ihr sind die Erwartungen gestiegen, der Aufwand für die Übernahme, die Betreuung, die Präsentation von Fotografien, aber auch die Investitionen in die Lebensdauer, wie sie etwa in einer flächendeckenden Digitalisierung zum Ausdruck kommt. All diese massiven Umwandlungsprozesse, die man den Bildern zumutet, betreffen, so unsere Überzeugung, nicht nur das Material, sondern erodieren auch die in eine Darstellung eingewobenen Sinnstrukturen. Die Identität einer Fotografie ist mit der Bewahrung ihrer Wiedererkennbarkeit nicht gewährleistet, auch nicht unter Berufung auf ein sorgsam gepflegtes Original. Die Vervielfältigungsmöglichkeiten des Mediums legen nahe, dass es von einem Bild verschiedene Aggregatszustände geben kann, die je nach Anwendung treffend erscheinen. Eine Fotografie definiert sich, so gesehen, über die Summe seiner Erscheinungsformen und diese unterliegen, bei aller Schärfe des Bildmotivs, doch beträchtlichen Schwankungen.

Nicht jede Inszenierung von Fotografie zielt auf eine Präsentation ihrer ästhetischen Qualitäten. Unser Forschungsansatz bemüht sich darum, die unterschiedlichen medialen Aufbereitungen wertfrei zu untersuchen und mit den je eigenen Zielen zu konfrontieren. Oft aber verschieben sich Kommunikationsziele und Präsentationsformen im Zusammenhang mit gestalterischmateriellen Entscheiden unmerklich gegeneinander. Im Zuge der Goldgräberstimmung, die dieses Medium erfasst hat, werden in einem beinahe freien kombinatorischen Spiel Produktions- und Präsentationskontexte gegeneinander ausgetauscht und die meist unterbestimmten Bildbotschaften durch die jeweilige Umgebung neu festgeschrieben. Es entstehen sprunghafte Bildbiografien, in denen selbst die Bildlegenden – passend zum Kontext – umgeschrieben werden. In diesem Feld sind unsere semantischen Schürfungen angelegt. Wir kümmern uns also nicht um das Original und seine ikonische Präsenz, sondern um die Abweichungen des Bildes von sich selbst.

Entsprechend folgen wir den unterschiedlichen Aufführungen einer Fotografie, ihren Auswirkungen auf den materiellen Befund und versuchen aus der Differenz den Sinngehalt des Bildes neu zu erschliessen. Dies ist der Grund, weshalb der genauen Erfassung und Analyse von Ausstellungen -> AA , s. 17 in dieser Publikation viel Platz eingeräumt wird : weil sich Ausstellungen als mediale Knotenpunkte erweisen und Fotografien nicht nur in einen räumlichen Zusammenhang stellen, sondern gleichzeitig über die Begleitmedien in verschiedene Kontexte hinausspielen. Ist es bei Ausstellungen die Simultaneität verschiedener Zustände der Fotografie, die uns interessiert, überstreichen wir in den Bildbiografien -> BB, s. 105 grössere Zeiträume, wenn auch meist nicht, um im Bild zu bleiben, den ganzen Lebensbogen einer Fotografie. Nicht ganz unerwartet zeigen solche Geschichten von ihrer Stirnseite her beobachtet starke Umschichtungen, Genre- und Medienwechsel, die immer mit einer medialen Umformatierung verbunden sind.

Mit dem Begriff Medien -> fg, s. 163 meinen wir jene Publikationskanäle, die grundsätzlich der Fotografie zur Verfügung stehen ; den Begriff Fotogenre -> fg, s. 163 beziehen wir hauptsächlich auf ein Produktionsumfeld, das sich auf Motiv und Ästhetik einer Fotografie auswirkt. Nicht jedes Medium steht allen Fotogenres offen, vielmehr lässt sich jedem Fotogenre ein primäres Publikationsmedium zuordnen. Da wo die erwartbaren Gebrauchs- und Rezeptionsmodi einer Fotografie durchbrochen werden, sprechen wir von einem Medientransfer -> Migrationsschema, Umschlag innenseite – eine Modefotografie, die in einem Modeheft erscheint, bleibt also unberücksichtigt, obwohl auch ein solches Bild vom Display der Kamera bis hin zur gedruckten Heftseite etliche Transformationen durchläuft. Ohne dass wir die Diagnose einer Hybridisierung der Fotogenres teilen, bleiben bei der Zuordnung von Bildern und entsprechend beim Transfer beträchtliche Unschärfen, die wenig wissenschaftlich anmuten. Ebenso wenig lassen sie sich durch präzisere Instrumente ersetzen, weil ein objektiver Befund nicht greifbar ist. Umso mehr haben wir uns deshalb bemüht, mit Bildproduzenten zu reden, deren Sichtweisen in unseren Text einzuflechten, auch wo sie nicht namentlich zitiert sind, und unsere Verwendung der Begriffe transparent zu machen. Wir danken an dieser Stelle Daniel Auf der Mauer, Gaëtan Bally, Istvan Balogh, Hannes Henz, Simone Kappeler, Martin Peer, Marco Pellandra, Martin Rütschi, Christian Schwager, Willy Spiller, Jules Spinatsch und Allessandro della Valle für die aufschlussreichen Diskussionen und Gespräche.

Zu erwähnen bleibt, dass diese Publikation aus einem Forschungsprojekt an der Zürcher Hochschule der Künste hervorgegangen ist, das von der Konferenz für Innovation und Technologie KTI des BBT getragen wurde. Für die Unterstützung der anfänglich nicht eingeplanten Publikation sind wir insbesondere Jörg Huber dankbar, dem Leiter des Institutes für Theorie an der ZHdK. Ausserdem sind wir diversen Partnern zu Dank verpflichtet, die unseren Fragen mit Geduld und Aufmerksamkeit begegnet sind und uns unentgeltlich Bilder zur Verfügung gestellt haben. Namentlich sind dies Hilar Stadler, Tobia Bezzola, Peter Pfrunder, Emanuel Ammon, Beatrice Geistlich, Jürg Zimmerli, Laszlo Aebischer, Christof Kübler, Christina Sonderegger, Ricabeth Steiger, Simon Maurer, Marco Bischof, Christian Brändle, Silvia Luckner, Jann Jenatsch, Alex Anderfuhren, Käti Durrer, Jean Robert und Eveline Suter.
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