Vorstadt Avantgarde
Susann Sitzler, Stefan Altenburger

Vorstadt Avantgarde

Details aus Zürich-Schwamendingen

176 Seiten, gebunden, mit 16 Farbfotografien
2. Aufl., März 2007
SFr. 34.–, 36.– €
vergriffen
978-3-85791-528-4

Schlagworte

Stadt Zürich Stadt
     

Im Frühjahr 2006 ist die Journalistin Susann Sitzler, die eigentlich in Berlin lebt, für drei Monate nach Schwamendingen, einem Stadtquartier von Zürich gezogen. Als eine von aussen lernt sie das Quartier kennen, fragt nach, was es mit Ausländerghetto und Heimat der Bünzli und Rechtswähler auf sich hat, erkundet die Geschichte des Bauerndorfes und versucht mit wachsendem Erfolg, sich nicht vom Fluglärm stören zu lassen.
Entstanden ist das Bild eines Stadtquartiers, in dem sich schweizerische Lebenswelten eines ganzen Jahrhunderts überlagern. Von seinen Bewohnerinnen und Bewohnern wird Schwamendingen geliebt. Einer sagt: In Schwamendingen haben wir viele Probleme schon in Angriff genommen, als der Rest der Schweiz gerade erst anfing, Angst davor zu haben.

Susann Sitzler
© Knud Kohr

Susann Sitzler

Susann Sitzler, geboren 1970 in Basel. Lebt seit 1995 als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Reportagen u.a. für «Die Weltwoche» und «Die Zeit»; Radiofeatures für Deutschlandradio Kultur und Schweizer Radio DRS. Von ihr erschien «Grüezi und Willkommen – Die Schweiz für Deutsche».

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Inhalt

Die Katze im Sack: Zur Entstehung dieses Buches

Das Getto der Schweiz

Z Schwamedinge seit mer Grüezi

Das hässlichste Haus am Schwamendingerplatz

Die Strategien der Klischeebewohner

Schwamendingen schillert

Glossar | Quellen | Literatur

Die Katze im Sack: Zur Entstehung dieses Buches

Die meisten Leute in der Schweiz waren noch nie in Schwamendingen. Aber sehr viele Leute in der Schweiz haben eine Meinung zu Schwamendingen. Sie finden es nicht gut. In grossen Zeitungen wurde Schwamendingen als Getto bezeichnet. Mittlerweile braucht es diesen Zusatz nicht mehr. Schwamendingen ist zu einem Begriff geworden, der für sich alleine stehen kann. «Bümpliz ist das Schwamendingen von Bern», stand vor einiger Zeit in einer Lifestyle-Zeitschrift.

Der Zürcher Stadtkreis 12 hat etwa dreissigtausend Einwohner, knapp so viel wie der Kanton Obwalden oder der Kanton Glarus. Ein gutes Drittel davon sind Ausländer, und neben unzähligen Genossenschaftssiedlungen gibt es ein paar Bauernhäuser aus dem 16. Jahrhundert, ein paar Wohnblocks und ein halbes Dutzend Hochhäuser.

Auch die meisten Stadtzürcher waren noch nie in Schwamendingen. Sie haben einfach keinen Grund. In Zürich ist Schwamendingen so uncool wie Turnschuhe aus der Migros. Das Klischee des Quartiers hat sich so entwickelt: Erst war es ein Arbeiterquartier, dann sind die Arbeiter Bünzli geworden. Ausländer und Arbeitslose sind gekommen und haben daraus ein Getto gemacht. Dann haben die Bünzli angefangen, SVP zu wählen. Alles Dinge, die belegen, dass die Schweiz sich wandelt. Und immer sind Änderungen dabei, die irgendjemand nicht mit seinem eigenen Bild des Landes vereinbaren kann.

Die Idee zu diesem Buch stammt nicht von der Autorin. Auch nicht vom Verlag. Sie stammt von einem Mann namens Nikola Grkovic, der im Frühjahr 2005 eine Schweizer Journalistin in Berlin anrief. Ihren Namen kannte er, weil sie schon einmal ein Buch über die Schweiz geschrieben hat. Er wollte sie einladen, zwei oder drei Monate in Schwamendingen zu verbringen, um sich selber ein Bild zu machen. In diesem Telefongespräch ging es auch um das Fünfzig-Jahr-Jubiläum des Gewerbevereins Schwamendingen. Darum war die Sache für die Journalistin schon nach zwei Minuten erledigt. Ein Jubelbuch für einen Gewerbeverein wollte sie nicht schreiben. Aber Grkovic ist kein Mensch, der von seinen Ideen ablässt, und ein solches Buch hatte er auch nicht im Sinn. Vor gut vierzig Jahren wurde Nikola Grkovic in Schwamendingen geboren und hat mit kurzen Unterbrechungen immer hier gewohnt. Er interessiert sich für das Weltgeschehen, und er mag sein Quartier. Schon seit Jahren geht es ihm auf die Nerven, dass es in der Öffentlichkeit so negativ wahrgenommen wird. Es beleidigt ihn persönlich. Dass niemand sich die Mühe macht, Schwamendingen objektiv zu betrachten und zu unterscheiden, was daran schön und was hässlich ist. Darüber müsste es mal ein Buch geben, dachte er. Nikola Grkovic verdient sein Geld als Teilhaber eines HiFi-Geschäftes, und als solcher ist er Mitglied im Gewerbeverein Schwamendingen. Als er die Idee mit dem Buch hatte, überlegte der Gewerbeverein gerade, wie man das bevorstehende Fünfzig-Jahr-Jubiläum im Jahr 2007 begehen könnte. Grkovic erzählte dem Präsidenten des Gewerbevereins von seiner Idee. Der Präsident des Gewerbevereins Schwamendingen heisst Walti Haas und ist ein ganz anderer Charakter als der übersprudelnde Grkovic. Nämlich ein zurückhaltender, ruhiger Mann, der seine Entscheidungen immer sorgfältig abwägt. Vielleicht kommt diese Konzentration vom Judosport, den er seit seiner Jugend betreibt. Auch Walti Haas kränkt es, dass viele Leute Schwamendingen zu einem durchwegs unangenehmen Ort erklärt haben, obwohl sie es gar nicht kennen. Er entschloss sich, das Buchprojekt zu unterstützen. Die Aufgabe des Gewerbevereins Schwamendingen sollte darin bestehen, sich um die allgemeine Organisation zu kümmern. Das hiess: Leute finden, die die Idee unterstützen und die Arbeit der Autorin vorfinanzieren. Die Autorin hatte Nikola Grkovic unterdessen doch an die Angel bekommen. Er akzeptierte alle ihre Bedingungen: komplette inhaltliche Freiheit und Veröffentlichung in einem Publikumsverlag. Das Projekt wurde in zwei Phasen aufgeteilt: in einen knapp dreimonatigen Rechercheaufenthalt in Schwamendingen und in eine viermonatige Schreibphase in Berlin. Wenn am Ende des Rechercheaufenthaltes kein Verlag für das Buch gefunden ist, würde das Projekt nach der ersten Phase beendet. Jeder, der sich an den Kosten für Anreise, Unterbringung und Unterhalt der Autorin beteiligte, wusste, dass er weder Anrecht auf lobende Erwähnung noch irgendein inhaltliches Mitspracherecht hat. Lektoriert würde vom Verlag. Die Autorin wünschte sich den Limmat Verlag. Als Nikola Grkovic für beide Phasen ausreichend Unterstützung von Privatpersonen und Gruppen aus dem Quartier beschafft hatte, fragte er die Autorin scheu, ob sie vielleicht bereit wäre, vor Beginn der Recherche einmal für einen Abend nach Schwamendingen zu kommen. Immerhin hatte sie noch niemand von denen, die zum Teil mehrere hundert Franken beisteuerten, gesehen. Dieses Buch ist entstanden, weil ziemlich viele Leute, nicht nur aus Schwamendingen, bereit waren, die Katze im Sack zu kaufen.

Im November 2005 war ich zum ersten Mal in Schwamendingen. Im Säli des Restaurants Ziegelhütte stand ich zwei Dutzend Personen gegenüber, die mich skeptisch, aber nicht ohne Zuversicht musterten. Im Quartier kursierten schon die verschiedensten Gerüchte über das Projekt. Manche gingen davon aus, dass eine Deutsche nach Schwamendingen kommen sollte, was niemandem sinnvoll erschien. Ein Gerücht besagte, dass Herrn Grkovics Mutter ein Buch über das Quartier verfassen würde, und zwar anknüpfend an das «Schwamendinger-Buch» von Nikolaus Wyss, das 1981 erschienen und inzwischen vergriffen ist. Den Gesichtern an den Tischen war anzusehen, dass mein Baseldeutsch manchen mehr in den Ohren wehtat, als es jedes geschliffene Hochdeutsch gekonnt hätte. Und dass einigen wohl auch die Meiringer Mundart von Herrn Grkovics Mutter lieber gewesen wäre. Ich war mir plötzlich sehr sicher, dass das alles ein Fehler war. Dann sprang der Funke über.

Walti Haas bat die Anwesenden, sich reihum kurz vorzustellen. Die meisten kannten einander auch nicht. Das wurde bereitwillig getan und kaum jemand beschränkte sich auf Name und Funktion. Vielmehr schienen die Gäste unbedingt sagen zu wollen, was Schwamendingen ihnen bedeutet. Lehrerinnen und Gewerbler, Lokalpolitiker und Wohngenossenschaftlerinnen, Zufallsgäste und solche, die nur hier zur Schule gegangen waren, erzählten vom Quartier. Einer, der noch gar nicht alt war, erinnerte sich, wie er als Kind im Stall der Bauern Verstecken spielte. Auf der anderen Seite der hufeisenförmigen Tischreihe stand ein Mann mit blitzenden Augen auf und sagte, er sei einer dieser Bauern, denen diese Gofen damals die Äpfel gestohlen haben. Klein und knorrig stand er da und sprach ohne Nostalgie vom Bauerndorf Schwamendingen, das sich während seines Lebens in ein Vorstadtquartier verwandelt hat. Als dieser Mann, Heiri Sulger, fertig war, hatte die Stimmung im Säli völlig umgeschlagen. Mit einer Zärtlichkeit, die mich irritierte, sprachen die Leute plötzlich über die Tische hinweg miteinander über das Quartier, das einen so miserablen Ruf hat. Es war keine Bitterkeit dabei. Nur Unverständnis darüber, dass die eigene Wahrnehmung so weit von dem entfernt ist, was die Öffentlichkeit in Schwamendingen zu sehen scheint. Das wollte ich jetzt genauer wissen.

(...)
Tages-Anzeiger, 13. März 2007
Die Vorstadt, 14. März 2007 (Interview)
WochenZeitung WoZ, 15. März 2007
Euses Schwamedinge, 15. März 2007
Neue Zürcher Zeitung, 19. März 2007
Tagblatt der Stadt Zürich, 21. März 2007
Schweizer Radio DRS 2, DRS aktuell, 22. März 2007
20 Minuten, 10. April 2007
Tages-Anzeiger, 26. April 2007
Basler Zeitung, 18. April 2007
P.S., 18. Mai 2007
work, 25. Mai 2007
Programmzeitung Juni/2007
Stadtblick 16/2007

«Ein spannendes und lesenswertes Buch, das einen liebevollen und gleichzeitig kritischen Blick wirft auf einen Stadtteil, der in den letzten hundert Jahren so massive Veränderungen erlebt hat wie kaum ein anderer und gerade deswegen als Sinnbild für die Schweiz stehen kann.» Schweizer Radio DRS 2

«Welches Quartier, welche Schweizer haben denn schon den Mut, sich von einer Fremden betrachten und beurteilen zu lassen, ohne Sicherheitsnetz? Susann Sitzler, die Fremde, zeichnet ein subjektives, aber äusserst differenziertes Bild des Quartiers.» Tages-Anzeiger

«Das Buch ‹Vorstadt-Avantgarde› bietet keine hochtrabenden städtebaulichen oder sozialwissenschaftlichen Theorien, sondern eher ein essayistisches Erspüren dessen, was Schwamendingen von anderen Vorstädten in der Schweiz unterscheidet – und was eben nicht. Vor allem aber läuft Susann Sitzler mit offenen Augen durch die Welt und erweist sich dabei als genaue Beobachterin – auch ihrer eigenen Reaktionen auf das Quartier. » WochenZeitung WoZ

«Das Buch ist glänzend geschrieben.» P.S.

«Susann Sitzler gelingt ein erstaunliches Kunststück. Sie vermag durch ihren leichten, essayistischen Stil, pointierte Formulierungen und einen zugewandt-kritischen Blick auf Schwamendingen tatsächlich Interesse für dessen Menschen, Häuser und Strassen zu wecken.» Programmzeitung

«Schwamendingen ist überall.» work

«Susann Sitzler, Schweizer Journalistin mit Wohnsitz in Berlin, gelingt mit ihrem Buch ‹Vorstadt Avantgarde – Details aus Zürich-Schwamendingen› ein präzises und kritisches, aber auch liebevolles Bild eines Stadtquartiers im Umbruch.[ ... ] Der Essay lebt von reizvollen Geschichten und Anekdoten, die Sitzler während eines dreimonatigen Aufenthalts in Schwamendingen zusammengetragen hat, und besticht auch wegen der treffend eingestreuten Analysen der Autorin.» Stadtblick
Captcha

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