Vom Mont Soleil zur Blüemlisalp
Elisabeth Kaestli

Vom Mont Soleil zur Blüemlisalp

Bernerinnen erzählen

Mit Fotografien von Lisa Schäublin

288 Seiten, 53 Abb., gebunden
1., Aufl., Oktober 2008
SFr. 38.–, 42.– €
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978-3-85791-565-9

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Wie sind die Bernerinnen? Sie sind langsam, bedächtig, fleissig, tüchtig und bodenständig – und sie sind auch ganz anders. Nämlich so vielfältig wie die Landschaft des Kantons Bern, der vom Berner Jura über das Mittelland zu den Alpen reicht und geografisch fast eine kleine Schweiz ist. Frauen von Tramelan bis Meiringen, zwischen fünfzig und über neunzig, erzählen ihre Lebensgeschichte. Da sind die Bäckerstochter aus Courtelary, die als Historikerin die Dokumentationsstelle des Berner Jura leitet, und die Bauerntochter aus dem Schangnau, die in einen Grossmetzgereibetrieb heiratet. Die Lehrerin aus Bern, die freischaffende Bildhauerin wird, die Bergsteigerin aus Grindelwald, die als Gemeinderätin amtiert, und die Küfertochter aus Sizilien, die in der Fabrik in Biel / Bienne Präzisionsarbeit leistet. Die achtzehn Frauen berichten von den Höhen und Tiefen in ihrem Leben, von Familie und Beruf, von Träumen und Hoffnungen. Und sie geben einen lebendigen Einblick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts aus Frauenperspektive.

Elisabeth Kaestli
© Lisa Schäublin

Elisabeth Kaestli

Elisabeth Kaestli, geboren 1945 in Frutigen BE, aufgewachsen in Biel / Bienne. Dolmetscherstudium in Genf und Triest. Ab 1973 als Journalistin für verschiedene Medien tätig. Seit 2000 freischaffende Journalistin und Autorin.

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Lisa Schäublin
© Limmat Verlag

Lisa Schäublin

Lisa Schäublin, geboren 1952. Seit 1986 freischaffende Fotografin. Lebt in Bern.

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Inhalt

Geschichten von Bernerinnen, niedergeschrieben in Afrika

Catherine Krüttli-Tüscher 1956
Historikerin – Renan

Marie Patthey-Glur 1946
Kindergärtnerin, Sozialpädagogin – Corgémont

Lucia Saolino-Crea 1941
Fabrikarbeiterin – Biel / Bienne

Hanni Lindt-Loosli 1926
Theologin – Biel / Bienne

Esther-Lisette Ganz 1950
Malerin – Tramelan

Rösi Vogt-Burkhalter 1922
Köchin, Bäuerin – Krauchthal

Marcelle Bütikofer-Kästli 1928
Hauswirtschaftslehrerin, Bäuerin – Kirchberg

Ruth Schütz 1943
Verkäuferin, Sozialarbeiterin – Oberburg

Annemarie Geissbühler-Blaser 1932
Juristin – Ittigen

Ruth Feuz-Gerber 1936
Bäuerin, Geschäftsfrau – Seeberg

Elisabeth Schmid-Frey 1917
Juristin – Bern

Paulina Müller 1930
Kindergärtnerin, Tänzerin – Bern

Berti Gerber-Hadorn 1916
Köchin, Haus- und Geschäftsfrau – Grosshöchstetten

Mariann Grunder 1926
Bildhauerin – Rubigen

Ursula Hug-Ramqai, geb. Bätscher 1955
Sachbearbeiterin – Bern

Marianne Bomio-Rubi 1952
Lehrerin, Gemeinderätin – Grindelwald

Madeline Thöni-Billy 1946
Historikerin, Reiseleiterin – Hasliberg Reuti

Lydia Ogi-Gyger 1924–2007
Schneiderin, Pflegerin, Bäuerin – Kandersteg

Vorwort

Sind die achtzehn Protagonistinnen in diesem Buch typische Bernerinnen? Was ist überhaupt eine typische Bernerin? Die Frage wäre vielleicht vor hundert Jahren einfacher zu beantworten gewesen, als die Bevölkerung noch nicht so mobil und durchmischt war wie heute. Bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts war der Kanton Bern ein Agrarkanton, mit einer bedächtigen und bodenständigen, aber auch fleissigen und tüchtigen Bauernbevölkerung. Bernerinnen und Berner hatten und haben den Ruf, langsam zu sein. Liegt es am bäuerlichen Erbe oder am berndeutschen Dialekt, der die Worte dehnt und biegt und im Tempo mit keinem gewetzten Ostschweizer Mundwerk Schritt hält? Jedenfalls erfuhr ich früh, dass die bernische Langsamkeit für Ausserkantonale ein Grund zum Hänseln ist. Als ich im Toggenburger Kinderheim als Erste gewaschen und angezogen zum Frühstück bereit war, rief die Heimleiterin lachend: «Was? Eine schnelle Bernerin?» Lasse ich die achtzehn porträtierten Bernerinnen in Gedanken vorbeispazieren, kommen mir eher die Eigenschaften arbeitsam und engagiert in den Sinn als langsam. Doch die Sprache ist tatsächlich bei den meisten gemütlich.

Die ältesten Erzählerinnen sind noch in einem von der Landwirtschaft geprägten Kanton Bern aufgewachsen. Sie haben die Wirtschaftskrise, den Zweiten Weltkrieg und danach die grossen Veränderungen der sich mechanisierenden Landwirtschaft miterlebt und die rasante Entwicklung von Technik und Wirtschaft. Industrie und Dienstleistungssektor haben an Bedeutung gewonnen, und die Landwirtschaft beschäftigt immer weniger Menschen. Die Bevölkerung hat sich innerhalb von hundert Jahren fast verdoppelt, und mit der raschen demografischen Entwicklung veränderte sich auch die Bevölkerungsstruktur im Kanton. Heute lebt über die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner in den Städten Bern, Biel, Thun und deren Agglomerationen. Viele sind aus anderen Kantonen und Ländern zugezogen, eingewandert, eingeheiratet. Sie tragen zur Vielfalt der Lebensweisen im heutigen Kanton Bern bei, der durch seine geografische Ausdehnung vom Jura über das Mittelland zu den Alpen fast eine kleine Schweiz ist.

Die Auswahl der achtzehn Porträtierten ist subjektiv, unzählige weitere Frauen aus dem Kanton hätten ebenfalls Interessantes und Wichtiges zu berichten. Die Erzählerinnen tun es stellvertretend für viele typische und untypische Bernerinnen, für die langsamen und die schnellen, die bodenständigen, die ländlichen und die städtischen, die sesshaften und die zugewanderten. Nur drei angefragte Frauen haben abgelehnt, bei diesem Buchprojekt mitzumachen. Doch viele hatten zunächst Bedenken, weil sie ihr Leben nicht als bedeutend genug erachten. Sie liessen sich überzeugen, dass ihre Geschichte es wert ist, dokumentiert zu werden. Es ging mir nicht darum, bekannte Frauen zu porträtieren, auch wenn die eine und andere es durchaus ist, sondern darum, ganz unterschiedliche, authentische und anregende Lebensgeschichten zu überliefern.

Als waschechte Bernerin mit bernischen Eltern, geboren in Frutigen, aufgewachsen in Biel / Bienne, wohnhaft gewesen in der Stadt Bern und im Berner Jura, machte ich mir das breite Beziehungsnetz und die Hinweise vieler Bekannter zu Nutzen, um eine bunte Palette von Lebensgeschichten zu sammeln. Ich suchte Frauen zwischen fünfzig und neunzig Jahren im ganzen Kantonsgebiet, Frauen unterschiedlicher sozialer Herkunft, mit verschiedensten Berufen, Ledige, Verheiratete, Geschiedene, Verwitwete, Mütter und Kinderlose. Gemeinsam ist ihnen, dass sie im Kanton Bern zu Hause sind. Vier Erzählerinnen sind nicht als Bernerinnen aufgewachsen, aber längst in diesem Kanton verwurzelt, in dem sie den weitaus grössten Teil ihres Lebens verbracht haben. Die alteingesessenen Bernerinnen haben häufig Lehr- und Wanderjahre in anderen Kantonen und Ländern verbracht. Manche Bauerntochter aus dem deutschsprachigen Kantonsteil machte ein Welschlandjahr oder ein Englandjahr, um Fremdsprachen zu lernen und den Horizont zu erweitern.

Die vorliegenden Geschichten sind Übersetzungen und Zusammenfassungen von vielen Stunden Gesprächen in den Jahren 2006 bis 2008. Die Frauen empfingen mich in ihrer Stube, in der Wohnküche, im Büro oder im Garten, sie erzählten in ihrem Dialekt – vom Bieler- bis zum Oberländerdialekt –, und die Welschen auf Französisch, die Italienerin auf Italienisch, die Indianerin auf Haslideutsch. Um etwas von den verschiedenen berndeutschen Dialekten wiederzugeben, beliess ich einige Zitate in Mundart.

Die Transkripte der Tonbandaufnahmen nahm ich nach Tansania mit, an meinen gegenwärtigen Wohnort Dodoma. Hier sind die Texte entstanden. Auch wenn die afrikanische Umgebung so anders ist als die bernische, erinnert mich doch manche Alltagsszene hier an Schilderungen der Bernerinnen. Es ist dann, als ob ich in der hiesigen Gegenwart bernischer Vergangenheit begegnen würde. Der Blick aus der Ferne schärfte meine Aufmerksamkeit für das, was die Zeitzeuginnen aus dem Kanton Bern über ihren Alltag im vergangenen Jahrhundert erzählten.

In mancher Hinsicht war «die gute alte Zeit» hart, aber sie hatte auch ihre gemütlichen und positiven Seiten. In Tansania wird bei jedem Fest gesungen und getanzt wie früher an einer Sichlete. Und im Alltag wird viel gescherzt und gelacht, das Tempo ist gemächlich wie in den Jugendjahren der ältesten Erzählerinnen, als die Zeit für einen Schwatz unter Nachbarn noch weniger knapp war, auch wenn hart gearbeitet wurde.

Wenn ich im Quartier in Dodoma spaziere, sehe ich Tansanierinnen, die vor dem Haus die Wäsche von Hand waschen. Sie sitzen hinter farbigen Plastikbecken und schrubben die Wäsche auf Steinen. Auf dem elterlichen Hof von Rösi Vogt im Emmental wurden am Waschtag die hölzerne Bütte und die Waschbretter hervorgeholt und die geschrubbte Wäsche wurde im Brunnentrog gespült.

Auf den Mais- und Bohnenäckern am Stadtrand hacken tansanische Bäuerinnen unter der stechenden Sonne die rote Erde. Bei diesen Szenen kommt mir die Bäuerin Ruth Feuz in den Sinn, die oft bis zur Erschöpfung den Acker mit der Hacke jätete. Oder Marcelle Bütikofer, die im bäuerlichen Lehrjahr auf den Knien Reihe um Reihe Karotten auf einem endlosen Acker ausdünnte. Und so wie die Tansanierinnen kilometerweit zu Fuss gehen, oft schwere Becken voller Tomaten oder Süsskartoffeln auf dem Kopf balancierend, ging man bei uns früher auf dem Land zu Fuss. Lydia Ogi aus Kandergrund kannte als Kind auch nichts anderes, und im Sommer schob sie den schweren Kinderwagen mit dem kleinen Bruder auf die Oeschinenalp. «Do het me no chönne loofe!», kommentierte sie schlicht.

Pionierinnen, die Neuland erobern und in Bereiche vordringen, die lange Männern vorbehalten waren, gibt es hier wie dort. In Tansania lese ich in der Zeitung von der Wahl von Frauen ans oberste Gericht und von der ersten tansanischen Albino-Frau, die Ministerin wird. Während des Zweiten Weltkrieges war Elisabeth Schmid als juristische Praktikantin «weit und breit das einzige weibliche Wesen» auf dem Amtsgericht. Annemarie Geissbühler wurde 1959 als erste Frau Staatsanwältin, Hanni Lindt war 1977 die erste Synodalrätin im Kanton Bern und Marianne Bomio wurde 2000 die erste SP-Gemeinderätin in Grindelwald. Auch die Bildhauerin Marianne Grunder ist eine Pionierin: Als sie 1953 bei einem Grabsteinhauer die Lehre anfing, war dieser überzeugt, dass Frauen «lätz zum Stei stöh», bis ihn die begabte Künstlerin eines Besseren belehrte.

Die rasche Entwicklung in der westlichen Welt und die Fülle an neuen Informationen, die uns überschwemmt, lässt die Vergangenheit allzu schnell in Vergessenheit geraten. Die Erinnerungen der älteren Generationen sind kostbar, und es lohnt sich, ihren Erzählungen zu lauschen. Ich danke den Frauen, die bereit waren, ihre Lebensgeschichte der Öffentlichkeit preiszugeben. Die achtzehn Erzählerinnen vermitteln konkrete Geschichte des Frauenalltags, wie sie in keinem Geschichtsbuch zu finden ist.
Elisabeth Kaestli, Dodoma, Sommer 2008
Der Bund vom 22. Oktober 2008
Berner Zeitung, 24. Oktober 2008
Sonntag, 26. Oktober 2008
Neue Zürcher Zeitung, 15. November 2008
Wochenzeitung für das Emmental und Entlebuch, 22. Dezember 2008
reformiert, Nr. 1, 31. Dezember 2008
P.S., 29. Februar 2009

«Aus jedem der 18 Frauenporträts liesse sich ein Roman spinnen – sei es ein historischer oder einer für Abenteurer.» Der Bund

«Auf subtile Weise hat Elisabeth Kaestli diese Zeitzeuginnen zum Sprechen ermuntert, ohne je die dunklen Geheimnisse ihres Lebens zu verletzen. Gern blickt man während der Lektüre auch auf die Schwarzweissfotos von Lisa Schäublin, welche die porträtierten Frauen in ihrer ansteckenden Lebendigkeit zeigen und anrührend den Bogen von der Kindheit in die Gegenwart schlagen.» Neue Zürcher Zeitung

«Es lohnt sich, den Erzählungen zu lauschen, weil die Geschichten des Alltags einen tiefen Einblick in die Gesellschaft und ihre langsame Veränderung freigeben.» Sonntag

«Die 18 Bernerinnen hinterlassen in uns in «Vom Mont Soleil zur Blüemlisalp»reiche Lebensdokumente, die in keinem Geschichtsbuch zu finden sind. Es sind wahre Schätze des Lebens.» Wochenzeitung für das Emmental und das Entlebuch

«Elisabeth Kaestli gibt dem Unspektakulären genaus Raum wie dem Epochalen. Dadurch ist ein eindrückliches historisches Dokument entstanden, für das die Autorin verdientermassen mit dem Trudy-Schlatter-Preis 2008 ausgezeichnet wurde.» reformiert

«Erzählt in einem Stil, der ohne Sentimentalitäten zu Herzen geht.» P.S.