Über Land
Ernst Halter, Christian Merkli

Über Land

Aufzeichnungen, Erinnerungen

280 Seiten, 15 Abb., gebunden mit Schutzumschlag
1., Aufl., März 2007
SFr. 34.–, 34.– €
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978-3-85791-517-8

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Seit beinahe 40 Jahren wohnt Ernst Halter auf dem Land im aargauischen Freiamt, wo sich das Leben in diesem Zeitraum einschneidend verändert hat. Auf dem Land, das in den allgegenwärtigen Diskussionen über die Stadt vergessen wurde, auf dem Land, das den Erholungsdruck dieser Stadt zu spüren bekommt. Aber das Land ist noch immer ein Lebensraum und eine Lebensform im eigenen Recht. Mit anderen Geschwindigkeiten, anderen Biografien, anderem Wetter, anderen Nöten und anderem Glück.
Ernst Halter widmet sich dieser Lebensform in allen Schattierungen. Er beobachtet Natur und Menschen, Landwirtschaft und Freizeitwirtschaft. Essayistische Formen stehen neben Naturschilderungen, er zeichnet Porträts, berichtet von Begegnungen, erzählt Geschichten, gibt Gespräche wieder.
Jenseits aller Idealisierung entsteht ein literarisches Porträt einer Lebensform und ein Bericht von der Modernisierung dieser Lebensform, die bis jetzt weder gelungen noch gescheitert ist.

Ernst Halter
© Werner Erne

Ernst Halter

Geboren 1938 Zofingen (AG), Schweiz

1958–1966 Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Geschichte in Genf und Zürich

1962–1963: Aufenthalt in England

1967–1968: Redaktionsassistent bei der Kulturzeitschrift «du»

1968–1969: Lektor des Verlags Fretz & Wasmuth, Zürich

1970–1985: Cheflektor des Verlags Orell Füssli, Zürich

ab 1986/87: freischaffend als Schriftsteller, Publizist und Herausgeber, Redaktor, Lektor, Berater beim Offizin Verlag, Zürich, auf den Gebieten Volkskunde, Photographie, Kulturgeschichte, Kunst

Verheiratet mit der Lyrikerin und Schriftstellerin Erika Burkart.

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Warum Aufzeichnungen über das Land notieren ...

Warum Aufzeichnungen über das Land notieren, wo doch vier Fünftel der Menschen in den Städten wohnen und der klägliche Rest davon träumt, in der Stadt glücklich und reich zu werden?

Und es lebt doch, sage ich, das Land. Dass es lebt, ist die Voraussetzung für alles, was nach ihm kommt, für die Stadt vor allem. Ich werde allerdings weder von Nährstand und Urproduktion noch von wehrhaften Bauern und Bauernart als Schweizerart orakeln. Was mich umtreibt, ist die Spannung zwischen Stadt und Land; ein Lebenlang habe ich sie gelebt. Vielleicht fesselt mich auch, an einem Ort zu wohnen, wo die Vorgänge und Rhythmen des Jahreslaufs, der Zeit, wie die Erde sie durchmachen muss, sich noch immer unumkehrbar vollziehen.

Natürlich könnte das Land ohne die Stadt längst nicht mehr sein. Die Autarkie ist hin, sie war wohl immer ein Hirngespinst. Verschwänden die Städte, wäre das Land bankrott, die Menschen würden arbeitslos, die Siedlungen zu ghost-towns, das Licht würde ausgehen, die Staubecken überfliessen, Nacht bräche über den Kunstlichttag herein. Und was würde aus der Stadt, wenn es das Land nicht mehr gäbe? Die Bürotürme würden leerstehen, die Fabriken müssten schliessen, die Luft müsste in ungeheuren Filteranlagen künstlich gereinigt werden, Hoffnungslosigkeit würde sich ausbreiten, es gäbe den Ort nicht mehr, wo man sich unter der Woche hindenkt und den man übers Wochenende mit Abfall anreichert. Hinfort müsste man Alpenrosen in der Gärtnerei kaufen, das Militär müsste in der Zürcher Bahnhofstrasse Artillerieschiessübungen veranstalten und über dem Berner Münster den Luftkampf simulieren.

Das Land ist der Ort, wo unsre Blicke Auslauf haben, nichts kanalisiert sie. In alle Richtungen zu schauen, ohne gleich anzustossen oder sich optisch beleidigen zu lassen, ist eine der Segnungen des Landes – und der mittelalterlichen Stadtplätze.

Das Land muss schlucken, was die Stadt stört, obwohl sie es produziert: Sondermüll füllt die notdürftig abgedichteten ehemaligen Kiesgruben; hier finden sich die Kehrichtverbrennungsöfen, die Autofriedhöfe, die Shredderwerke, die Kompostierungsanlagen, die Gefängnisse, Lagerhaus schiebt sich an Lagerhaus. Das Land als Speckgürtel der Stadt: Hier glitzern die rasch aus dem Boden gestampften Einkaufszentren, dehnen sich die Auto-Occasionsmärkte Hektar an Hektar, Grossbordelle verwöhnen mit Luxus und Vollservice, Sporthallen schliessen sich an Sauna-, Wellness- und Tenniscenters, und die Golfplätze setzen ihre Umgebung unter Flutlicht. Das Land wird zugedröhnt von den Ein- und Abflugschneisen, zersäbelt von Strassen, Bahnen, Autobahnen und von den in Betoncaissons verlaufenden Hochgeschwindigkeitsstrecken. Das Land wird deklassiert.

Es kann, weil es gemeinhin als ‹schön› gilt, verspekuliert werden, und weil es gemeinhin als unbegrenzt gilt, kann es verbetoniert werden von jedem, der rasch zu Geld kommen will oder sich einfach gar nichts denkt. Und über die Unersetzlichkeit ebendieses Landes palavern seit Generationen die Politiker, ohne dass dessen Verschleiss geringer geworden wäre. Selbst die Schweizerische Eidgenossenschaft, setzt sich über jede gesetzlich verankerte Schutzbestimmung hinweg, sobald der Konzern Y Arbeitsplätze herbeizuzaubern verspricht. Alles Alibiübungen, denn das Land muss nach wie vor den sogenannt ‹höheren›, also ihm fremden Interessen dienen. Es ist die Magd für alle. Oder soll man sagen: der am schlechtesten gepflegte Patient unsrer Zivilisation? Somit ist möglicherweise dieses Buch «Über Land» die letzte Gelegenheit, es zu besichtigen und zu beschreiben. Vergleiche ich die Blätter X und XI der Michaelis-Karte des Aargaus aus den Jahren 1837–1843 mit den neusten Ausgaben der Landeskarte, stelle ich fest, dass vier Generationen 80 Prozent des offenen Landes im Zentrum überbaut haben. Erhalten sind einzig die Wälder – dank dem deutschen Waldgesetz, das die Schweiz für den Eigengebrauch adaptiert hat.

Im Schwarzen Amt, das seiner dunklen Nächte wegen nicht ohne Grund diesen Namen trägt, hat man der Stadt einige Jahre länger als anderswo Widerstand geleistet. Noch immer sieht man bei scharfem Westwind und leergefegtem Himmel bei Nacht die Sterne. Doch an seinen Rändern im Norden und Osten erstickt sie bereits im Lichtsmog. Auch das Schwarze Amt hat seinen Anteil an Müll und Plauschaktivitäten zu verdauen. Kartbahnen, Moto-Cross-Pisten und Verstecke für Shredderabfälle. Im Schwarzen Amt wird die Sogwirkung des leeren Raums auf den überfüllten, übernutzten Raum noch wahrgenommen.

Wenn das Modernisierungsprojekt ‹Land› (ein solches wird es bleiben) scheitern soll, dann erkläre man den Raum zum Eingeborenenreservat. Was wir als Wildpark mit einem Maschengitterzaun schützen, bleibt passiv, wird durchlöchert und angefressen und dient fremden Ausbeutungsinteressen. Gelingen kann ein Modernisierungsprojekt nur, wenn die Betroffenen aus richtiger Erkenntnis ihrer eigenen Lage aktiv werden. Verbetonierung, Golfisierung und Playground-Landschaft verunmöglichen eine langfristig dem Land dienliche Entwicklung. So rutscht das Land mit jeder Generation eine Liga tiefer. Das heisst nicht, dass Initiativen und Vorschläge von aussen, vorgebracht im Interesse der Betroffenen, abzulehnen sind. Es fehlt nicht an Menschen, die, auf dem Land aufgewachsen, sich unter andern Lebensumständen Gedanken über die Bedrohung, die Schwierigkeiten und das Potential ihres Herkunftsortes machen. Die Modernisierung allerdings muss auf dem Land geleistet werden.

Sollte man neben der Charta der Menschenrechte eine Charta der Rechte und Pflichten des leeren Raums, Land genannt, erarbeiten?
Aargauer Zeitung, 15. März 2007
Basler Zeitung, 17. April 2007
Leben und Glauben und Der Sonntag, 16/2007
Neue Zürcher Zeitung, 19. Juni 2007
P.S., 5. Juli 2007
Der Bund, 1. September  2007

«Ernst Halters lockere Sammlung von poetischen und analytischen Texten verrät einen universellen Ansatz, so dass sie zum Kompendium gerät – vergleichbar Günter de Bruyns Hommage «Abseits» (2005) für die Mark Brandenburg. Denn nicht nur Ereignisse und Figuren der Gegenwart tauchen auf, sondern der Autor skizziert auch den historischen Wandel in der landwirtschaftlichen Arbeit, der beruflichen Struktur der Dörfer. (...) Spricht er über den Garten, über Schweiss und Plackerei, die dieser eingefordert hat, um von einer Wildnis in ein Paradies verwandelt zu werden, so denkt man an jenen anderen Gartenmeister in Jalta, der nicht weniger leidenschaftlich gejätet hat: Anton Tschechow. In der wundersamen Introduktion zu seinem Buch aber, da er die erste Begegnung mit der Dichterin im Äbtehaus Kapf nachzeichnet, hat er die Tür zum weiten Land der Seele geöffnet.» Neue Zürcher Zeitung

«Und dann liest man auch immer wieder das Loblied dessen, was da kreucht und fleucht, was lautlos wächst und dabei schliesslich durch den Asphalt bricht. Die Pflanzennamen, die ihm geläufig sind, werden die wenigsten Kinder kennen. Halter beschränkt sich nicht auf Pflanzen. Er beschreibt staunend Wolkenformationen, Sturm, Feuer, den Vogelflug, die Gartenarbeit, Schneebruchschäden im Wald. Viele seiner meditativen und präzisen Prosastücke vermitteln Freude an der Schönheit von Natur und Respekt vor ihrer Fülle, vor ihrer Verschwendungslust und Kraft.» Basler Zeitung

«Mag sein, dass mich die Aufzeichnungen des Autors über das Leben auf dem Land im oberen Freiamt deshalb so anrühren, weil ich die Gegend selbe kenne. Die kurzen Betrachtungen über die auch heute noch eigentümlichen Lebensumstände auf dem Land sind aber auch ohne persönlichen Bezug lesenswert, weil sie feinfühlig beschreiben, was das Land im Allgemeinen von städtischen Gebieten unterscheidet. Ein solcher Zugang kann leicht in rustikalen Kitsch abgleiten, wenn man das Landleben auf Kosten des hektischen städtischen Lebensstils idealisiert. Eben das passiert dem Autor nicht. Er weiss um die untrennbare Verbundenheit von Stadt und Land und er erkennt auch die Nöte und Zwänge, die die Menschen in dörflichen Gemeinschaften einengen.» Der Sonntag

«Ich las diesen Bericht als Belletristik, war von den – mit Schwarzweissfotos ideal ergänzten – feinen Beobachtungen und klaren Aussagen berührt und gepackt. ‹Über Land› liesse sich auch als Sachbuch empfehlen.» P.S.

«Präzis und poetisch, jenseits aller Idealisierung, kämpft er gegen das Vergessen und zeichnet im Bewusstsein des Wandels und der Modernisierung mit beeindruckender stilistischer und formaler Vielfalt ein facettenreiches Bild des Lebens abseits der Städte.» Der Bund

«Eine gelungene literarische Auseinandersetzung mit dem Thema ‹Land› und seiner heutigen Bedeutung.» pro-regio-online.de
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