Garamonds Lehrmeister
Anne Cuneo

Garamonds Lehrmeister

Antoine Augereau - Schriftenschneider, Drucker, Verleger und Buchhändler

Übersetzt von Erich Liebi

560 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
1., Aufl., Oktober 2004
SFr. 49.–, 49.– €
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Titel der Originalausgabe: «Le maître de Garamond. Antoine Augereau – graveur, imprimeur, éditeur, libraire»
978-3-85791-463-8

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Schlagworte

16. Jahrhundert
     

Im Morgengrauen des 24. Dezembers 1534 wird in Paris Antoine Augereau auf dem Scheiterhaufen verbrannt, auch seine Bücher werden ins Feuer geworfen. Der Drucker, Verleger, Schriftenschneider und Buchhändler wird bezichtig, Pamphlete gegen die heilige Messe verfasst zu haben. In Wahrheit musste er als Verleger von Margarete von Navarra sterben, gegen sie selbst, die Schwester des Königs, wagten die mächtigen Theologen der Sorbonne nicht vorzugehen. Anne Cuneo erzählt das Leben des Antoine Augereau aus der Perstpektive seines berühmtesten Schülers: Claude Garamond. Es ist ein abenteuerliches Leben in der zerrissenen Zeit der Renaissance, voller Aufbruch in die Moderne, voller Glauben an den Geist, die Schrift, das Buch, die Aufklärung, aber auch voller religiöser Spannungen und Machtkämpfe. In der Grand-Rue Saint-Jacques entstehen Schriften, die das Aussehen der Bücher bis heute prägen: Dort arbeiten die Drucker und Verleger, dort herrscht ein Klima der Toleranz, Offenheit und des Weltbürgertums: Werte, für die Antoine Augereau mit seinem Leben eingestanden ist und bezahlt hat.

Anne Cuneo

Anne Cuneo

Anne Cuneo (1936–2015), geboren in Paris kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als Kind italienischer Eltern. Ihre Familie verlässt Frankreich 1940. Kindheit in Norditalien. Nach dem Tod ihres Vaters in den letzten Kriegstagen, lebt sie mehrere Jahre in katholischen Waisenheimen und Internaten in Italien und später in Lausanne in der Schweiz, wo sie die französische Sprache lernen und sich in die neue Umgebung einleben muss. Nach dieser schwierigen Zeit verbringt sie ein Jahr in England, in Plymouth und London, und entdeckt die angelsächsische Kultur. Sehr viel später schöpft sie aus der Erinnerung an diesen wichtigen Lebensabschnitt für ihren Roman «Station Victoria» (1989). Zurück in Lausanne arbeitet sie zunächst als Telefonistin und Sekretärin, studiert anschliessend an der Universität Lausanne Geschichte, Englisch und Italienisch, arbeitet in der Werbung, unterrichtet Sprachen und reist quer durch Europa.

Sie beschäftigte sich mit nahezu allen Möglichkeiten der Literatur, mit Journalismus und Übersetzungen. Ihr Werk, sehr oft autobiographisch, ist geprägt von der Auseinandersetzung mit aktuellen Strömungen. Sie bewunderte Breton, den Surrealismus, die Tradition der grossen amerikanischen Romane, und hat versucht all ihre Vorlieben in ihr Werk einzubringen. Beispiele für ihre ästhetischen Neigungen werden sichtbar in «Gravé au Diamant», «Mortelle Maladie», «Passage des Panoramas», «Hotel Venus». In «La Vermine» ist sie Fürsprecherin für Menschen, die am Rande leben, und mit ihrer Autobiographie «Portrait der Autorin als gewöhnlicher Frau» führt sie die Welt der Emigranten in die schweizer Literatur ein. Sie schildert den Einbruch einer Krankheit in «Eine Messerspitze Blau», nachdem sie eine schwere Krebserkrankung überwunden hatte. Als Essayistin zeichnete sie die Welt des Theaters und des Films, der sie sich verbunden fühlte: «Le Piano du Pauvre», «La Machine fantaisie», «Le Monde des Forains», «Benno Besson et Hamlet».

Nachdem sie während mehrerer Jahre vor allem für Theaterproduktionen gearbeitet und eigene und fremde Theaterstücke inszeniert und produziert hatte, beschäftigte sie sich später wiederum mit Literatur. Dabei stand ihre Biographie nicht mehr im Mittelpunkt des Schreibens. Sie fügte allerdings hinzu: «Ich empfinde, das, was ich erzähle immer noch als autobiographisch, allerdings vertieft und stärker verarbeitet, möglicherweise auch weniger anekdotisch geschildert.»

Ihre Hauptfiguren, mit denen sie sich zutiefst verbunden fühlte, drücken sich immer in der Ich-Form aus, zum Beispiel Francis Tregian in ihrem letzten Roman «Der Lauf des Flusses». Durch Francis Tregian erleben wir das Europa zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die gekrönten Häupter, die Wirren und Kriege, die Künstler und die einfachen Menschen, aber auch die Ursprünge unserer Kultur.

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Erich Liebi

Erich Liebi

1944 im Aargau als Kleinbauernsohn geboren. Berufslehre Gemeindeverwaltung, Gemeindeschreiber. Wechsel in den Journalismus: «Badener Tagblatt», Tagesschau des Schweizer Fernsehens. Freiberufliche Tätigkeiten für Film, Theater, Übersetzungen. Reiseleitung in China. Chefredaktor einer Fachzeitschrift für Kommunikation. Seit 1996 freiberuflicher Autor, Publizist und Übersetzer. Lebt seit dreissig Jahren in Zürich.

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Einleitung

Traditionsgemäß werden die Druckbuchstaben, die Sie hier vor Augen haben, nach Garamond benannt. [Anmerkung des Webmasters: Die historische Schrift existiert nicht elektronisch, Sie sehen sie nur im Buch!] Sie stammen aus der Zeit um 1530, und im Gegensatz zu anderen «Garamond»-Schriften handelt es sich hier nicht um eine Interpretation, sondern um die möglichst originalgetreue Nachbildung durch den kanadischen Schriftgestalter William Ross Mills in den Jahren 1994 / 1995. Diese Schrift wird aus Gründen, die ich am Schluss des Buches erläutere, Garamond zugeschrieben. Doch gibt es keinerlei Dokumente, die dies belegen würden, und handfeste Tatsachen legen es bei genauerer Betrachtung nahe, sich dazu Fragen zu stellen. Sicher ist nach Auffassung verschiedener Fachleute, die sich darüber sogar gewundert haben, dass es sich um eine «fotographische Kopie» (sic) von Buchstaben handelt, die ebenfalls aus der Zeit um 1530 stammen, und von Antoine Augereau, Garamonds Lehrmeister, geschnitten worden sind. Es ist in der Tat durchaus möglich, dass diese Lettern das Werk Augereaus sind, dessen Name von der Geschichte verschwiegen wird. Wie auch immer, angesichts der großen Ähnlichkeit der beiden Schriften kann der Leser davon ausgehen, dass die Buchstaben, die er vor Augen hat, von Augereau stammen.

Die Kursivschrift hingegen ist eindeutig Garamonds Werk und stammt aus dem Jahr 1545, was anhand von Dokumenten einwandfrei belegt werden kann. Antoine Augereau selbst hat nie Kursivschnitte hergestellt. Die hier verwendete Nachbildung stammt ebenfalls von William Ross Mills.

Die Initialen (der Schmuckbuchstabe am Anfang jedes Kapitels) stammen von Antoine Augereau.

***

Die Orthographie der alten Texte habe ich zur besseren Lesbarkeit der heutigen Zeit angepasst, im Fall einiger Präpositionen, deren damalige Verwendung unklar war, hielt ich mich jeodch an die Wortwahl der Autoren.

Im 16. Jahrhundert war die Schreibweise von Vor und Eigennamen ebenso wenig eindeutig wie die Orthographie insgesamt. Man begegnet der gleichen Person sowohl als Galiot und Galliot, Garamond, Garramond, Garramont oder Garamont, Marcilhac oder Marcillac, Bocard oder Boucard, Jenson oder Janson, Zwingli oder Zwyngli (und ich verzichte darauf, das Dutzend verschiedener Schreibweisen von Ulrich aufzulisten), ganz zu schweigen von den von ihren Inhabern ins Lateinische übersetzten Namen (beispielsweise wird aus Jean Cauvin Calvinus und dann Calvin). Zur Erleichterung der Lesbarkeit habe ich mich für eine bestimmte Schreibweise entschieden und sie konsequent angewandt.

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Im 16. Jahrhundert bezeichnete das Wort «Parlament», das in den Texten der damaligen Zeit vorkommt und das ich einzelnen Personen in den Mund lege, die richterliche und nicht wie heute die gesetzgebende Gewalt.

Das Wort «Gelehrter» als Substantiv bezeichnet eine Person mit guter Bildung, «die über viele Dinge Bescheid weiß», und hat noch nicht die heutige Bedeutung des «Wissenschaftlers».

Das Wort «Drucker» bedeutete im 16. Jahrhundert DruckerVerlegerBuchhändler (manchmal sogar, allerdings immer seltener, auch Schriftschneider). Das Wort Verleger, das ich im Text um der Klarheit willen verwende, ist tatsächlich nicht vor etwa 1700 bezeugt, das lateinische Verb edere, von dem es abgeleitet ist, bedeutet hingegen «herstellen, zutage bringen».

Das Wort «Clerc» ist bis zum Trientinischen Konzil (1545–1563) unklar gedeutet. «Für unsere Vorfahren bedeutete es einerseits Kleriker, andererseits wurde es aber auch zur Bezeichnung dessen verwendet, den man für einen Gelehrten hielt, oder für jemanden, den wir heute Sekretär nennen.» (Definition aus dem 17. Jahrhundert) Im 16. Jahrhundert bezeichnet es den Absolventen eines Hochschulstudiums ebenso wie denjenigen, der bloß in den Diensten eines Klerikers steht (und auch dann das Klerikerprivileg genießt, wenn er selbst nicht Geistlicher ist). Auch wer Ehelosigkeit gelobt hat, wird als «Clerc» bezeichnet.

Mit «Cordelier» werden in Frankreich gerne die Mönche des Ordens des Hl. Franziskus von Assisi, die Franziskaner, bezeichnet. («Cordelier» [Seiler] verweist auf den Strick mit drei Knoten, den die Franziskaner um die Hüfte tragen/d. Übers. )

In welchem sich Claude Garamond,
Druckermeister in Paris,
auf der Suche nach der Wahrheit
nach Neuenburg
in der Schweiz begibt.

Es war wieder kalt geworden. Tagsüber war es warm gewesen, fast wie an einem Sommertag. Doch gegen Abend hatte sich der Himmel überzogen, und es hatte zu regnen begonnen. Heftiger Schauer zunächst, dann ein feiner Dauerregen. Kurz vor Sonnenuntergang hatte die Bewölkung für einen Augenblick aufgerissen, aber aufgehört zu regnen hatte es nicht. Alles war plötzlich in rosa Farbe getüncht, die Oberfläche des Sees spiegelglatt. Wäre er nicht just zu diesem Zeitpunkt aus seiner Werkstatt getreten, hätte er davon nichts zu sehen bekommen.

Er stieg mit seinen Korrekturfahnen unter dem Arm zur Collégiale hinauf. Üblicherweise hätte er die Fahnen von seinem Lehrling tragen lassen, doch dieser Text hier war etwas Besonderes. Er wollte einen Abschnitt daraus mit Pfarrer Marcourt besprochen. Die Bibel zu übersetzen war in gewissen Ecken der Welt ein gefährliches Unterfangen. Hier, in Neuenburg, war es nur ausgesprochen schwierig. Umso schwieriger auch, da sich bereits früher große Männer der Sache angenommen hatten, und er nicht oder noch nicht sicher sein konnte, es besser machen zu können.

Er klopfte an die Tür des Pfarrhauses. Meisterin Marcourt persönlich kam, um zu öffnen, mit einem kleinen Kind an ihrem Rockzipfel. Er wunderte sich jedes Mal über die Jugend dieser Frau an der Seite eines alt wirkenden Ehemannes, älter wahrscheinlich, als er war. Das kam bei den unter reichen Leuten arrangierten Ehen nicht selten vor, war aber hier nicht der Fall. Marguerite de Crane hatte Antoine Marcourt aus freiem Willen geheiratet.

«Er ist nicht da», sagte sie, kaum dass sie den Mann vor ihrer Tür sah und ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. Noch eine Überraschung. Sie war ebenso lebhaft wie Marcourt langsam und würdevoll, außer wenn er predigte, denn dann war er Feuer und Flamme, und so betrachtet, war er dieser adretten Person ein durchaus würdiger Ehegatte.

«Ich überlasse Ihnen die Fahnen, sagen Sie ihm, er möchte die markierten Stellen durchsehen, ich habe den Eindruck, dass wir dort nicht mit dem Original übereinstimmen.»

«Ich werde es ihm ausrichten.»

Auf dem Rückweg ging er beim Zoll vorbei, um nachzusehen (man konnte nie wissen), ob die von ihm bestellten Papierballen eingetroffen und vielleicht dort zurückbehalten worden waren. Nichts. Wenn sich der Papierfabrikant nicht sputete, würde bald nichts mehr da sein, womit man arbeiten konnte.

Es war schon fast Nacht, als er vor der Druckerei ankam; durch die Fensterläden schien flackerndes Kerzenlicht.

Er hörte das Geräusch von Pferdehufen. Und plötzlich tauchte aus dem Schatten ein Mann auf, in einen weiten Mantel gehüllt, die Kapuze bis über die Augen gezogen; er führte sein Pferd am Zaum. Als er ihn sah, blieb er abrupt stehen.

«Guten Abend, mein Herr», klang es aus dem Finsteren.

Ein fremder Tonfall. Kein Neuenburger und kein Genfer. Der Fremde war Franzose.

«Auch Ihnen einen guten Abend.»

«Ich suche Pierre de Vingles Druckerei, man hat mir gesagt, sie befinde sich hier.»

«Nun, Sie haben sowohl die Druckerei als auch Pierre de Vingle gefunden. Was kann ich für Sie tun?»
Schweizer Bibliotheksdienst, 12. November 2004
St. Galler Tagblatt, 29. November 2004
m-Comedia, 9. Dezember 2004
20 minuten, 18. Januar 2005
Der Bund, 8. März 2005
Hochparterre, März 2005
ekz bibliotheksservice, April 2005
tm rsi stm, Typographische Monatsbläter, 2/2005
Akzidenz 4, Informationen der Gilde Gutenberg, November 2005

«Anne Cuneo hat einen beeindruckend umfangreichen, grossartigen Roman geschrieben. Sie begeistert die Leser für die spannende Geschichte von Druck und Schrift und beleuchtet die mittlealterliche Kultur, indem sie Berühmtheiten wie François Villon oder Rabelais im Rioman auftreten lässt.» 20 minuten

«Spannender historischer Roman, aber auch ein faszinierender Text zu Geschichte und Entwicklung von Druckschriften.» Typographische Monatsblätter

«Anne Cuneo entwirft mit Garamonds Lehrmeister ein ausführliches soziales und geistesgeschichtliches Porträt über eine von religiösem Fanatismus und den beginnenden Glauben an die menschliche Vernunft geprägte Epoche.» Schweizer Bibliotheksdienst

«In der Zeit von Erasmus, Lefèvre und Luther debattieren die Drucker über die wahrhaft humanistische Schrift, die in ihren Proportionen das Menschliche verkörpert, bis hin zur leichten Wölbung der Füsse, auf denen ein Buchstabe steht Theologie, Typografie, Literaturgeschichte, Architektur: Diese umfassende Gelehrtheit prägt ‹Garamonds Lehrmeister›. Anne Cuneo nimmt diesen Universalismus auf, indem sie Themen nicht separat abhandelt, sondern mischt, indem sie in Gesprächen abschweift und Gedanken mit Einfällen durchkreuzt. Der Roman beschreibt eine Wendezeit der westeuropäischen Geistesgeschichte. Er bringt Texte und Namen zusammen, die sich damals vielleicht nicht begegnet sind. Doch wie Cuneo zum Beispiel François Rabelais einbettet und den bärenhaften Diener Oudin als ein Vorbild für Gargantua zeichnet, macht Historie sehr anschaulich. ‹Garamonds Lehrmeister› ist ein zutiefst humanistischer Roman: er konfrontiert die menschliche Neugier und den Drang nach Fortschritt mit Traditionen und Machtgefügen - und das alles auf einem selten beachteten Feld, dem Handwerk des Druckens.» St. Galler Tagblatt

«Die Lektüre ist von der ersten Seite an spannend.» Comedia

«Eine sehr lohnenswerte Lektüre, nicht nur für Liebhaber der Buchdruckgeschichte.» Akzidenz
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