Zeiträume
Catherine Silberschmidt (Hg.), Christine Tresch (Hg.)

Zeiträume

Mit Texten von Hanna Johansen, Ilma Rakusa, Isolde Schaad, Elisabeth Wandeler-Deck

160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
September 2000
SFr. 28.–, 18.– €
vergriffen
978-3-85791-350-1

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Verändert sich die Wahrnehmung von Zeit?

Aus Anlass ihres zehnjährigen Bestehens hat die Fachstelle für Gleichberechtigungsfragen des Kantons Zürich fünf Autorinnen gebeten, sich Gedanken zum Thema Zeit und Erfahrung zu machen: Wie verhalten sich persönliche Rhythmen und Bewegungen zum beschleunigten Wandel unserer Gegenwart? Verändert sich die Wahrnehmung von Zeit mit dem Älterwerden? Was kann die individuelle Zeit der gesellschaftlichen entgegenhalten?

Isolde Schaad

Isolde Schaad, geboren 1944 in Schaffhausen, lebt seit 1967 in Zürich und gehört zu den namhaften Schweizer Autorinnen der 68er Generation. Ihre Spezialität ist die kritische Gesellschaftsbetrachtung, die sie mit Scharfsinn, Humor und hohem sprachlichen Können der nahen und fernen Umgebung widmet. Schon ihre Buchtitel zeugen davon: «Knowhow am Kilimandscharo», erschien 1984 und wurde vom heissen Eisen zum Ethnoklassiker. 1986 folgte die «Zürcher Constipation», 1989 «KüsschenTschüss», die beide zu helvetischen Bestsellern wurden. «Body & Sofa», die Erzählungen aus der Kaufkraftklasse, 1994, «Mein Text so blau» 1997, dann der Roman  «Keiner wars» 2001, der den Schillerpreis der ZKB erhielt, sowie die Porträtsammlung «Vom Einen. Literatur und Geschlecht», 2004. Es folgten der Roman «Robinson & Julia», 2010, dann die Erzählungsbände «Am Äquator», 2014, sowie « Giacometti hinkt», 2019, von der Presse mit grosser Anerkennung bedacht.

Isolde Schaad hat neben ihrer schriftstellerischen Arbeit stets auch publizistisch gearbeitet, bis zum Millenium war sie für renommierte Zeitschriften im In- und Ausland tätig, Unter anderen für «Transatlantik», für das legendäre «Kursbuch», für «Geo», «literaturkonkret», die «Frauenoffensive», oder «Text und Kritik», herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. Ab 1974 bis in die Nullerjahre schrieb sie u.a. für das «Tages-Anzeiger-Magazin», die «NZZ am Wochenende», schwerpunktsmässig für die Wochenzeitung «Woz» und die Kulturzeitschrift «Du».

Von ihren Studienreisen nach Indien, Ostafrika und dem Nahen Osten stammen ihre lebendigen, mit dem ethnologischen Blick geschärften Reportagen, Essays und Kolumnen, für die sie den Schweizerischen Journalistenpreis erhielt. Im Frühjahr 1997 war sie Gast der renommierten Washington University in St. Louis, Missouri. Zu dieser Zeit entstand auch eine Dissertation der amerikanischen Germanistin Julia Scheffer: «Die Sprache aus dem Bett reissen: Feminist Satire in the Works of Elfriede Jelinek and Isolde Schaad» (Washington DC 2000).

Als Künstlerstochter hat Isolde Schaad ihrer Liebe zur Kunst in zahlreichen Künstlerinnenporträts Ausdruck verliehen, vor allem aber hat sie mit ihrer intensiven kunstsoziologischen Studie über ihren Vater Werner Schaad (1905– 1979) «Wie der Kunstmaler sich in der Provinz einrichtet» (Schaffhausen 1980), der Schweizer Kunstgeschichte der Nachkriegsjahre einen wesentlichen Beitrag gestiftet, ganz im Sinne des von Paul Nizons entfachten «Diskurs in der Enge».

Isolde Schaad war immer auch gesellschaftspolitisch aktiv, sie ist Mitbegründerin der selbstverwalteten Genossenschaft Neuland in Zürich Wipkingen, in der sie noch heute lebt. Ihre mehrfach preisgekrönten Bücher erscheinen seit 1984 im Limmat Verlag. Im Frühjahr 2014 erhielt Isolde Schaad sie für ihr literarisches und publizistisches Schaffen die Goldene Ehrenmedaille des Kantons Zürich.

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Vorwort
von Catherine Silberschmidt

Isolde Schaad
Louise und die Schirmherrschaft

Ilma Rakusa
Jalousie: Tagtraum: Bewegliche Zeit

Anne Cuneo
Mein Freund Leslie

Elisabeth Wandeler-Deck
Sie tauchte ab.

Hanna Johansen
Nicht vergessen

Louise und die Schirmherrschaft

Isolde Schaad

Es war zu Anfang eines Jahrtausends, das nichts Richtiges mit sich anzufangen wusste. Das Angebot war zu gross. Es gab Unentwegte aus dem letzten Jahrhundert, das wusste Louise. Der Gang der Unentwegten war langsam, das Haar unter der sinkenden Sonne des Sozialstaates schütter geworden. In den mit Schuppen besäten Scheiteln der Männer liess sich die politische Anstrengung nieder und wirkte wie schmutziger Schnee. Der Zustand der mit ihnen unverheirateten Frauen war am Haaransatz zu erkennen. Der wurde regelmässig von neuem krass schwarz, oder dann rot, aufs Positivste. Louise starrte auf ihn, in der Warteschlange, an der Kasse, im Kino und im Konzert, wenn er die Sicht aufs Orchester verbaute. Die Wende von Henna zur Firma, die Sunset 2001 hiess, oder Ever Lovely, vollzog sich synchron mit dem Kurs der Grünen ins Finstere. Das Henna verzog sich in Strähnen, und die Frisur wusste nicht mehr, wo es nun langging, in dieser Epoche ohne klare Empfindung.

I

Louise, genannt Lou, zählt sich nicht zu den Unentwegten, obschon sie mit ihnen sympathisiert. Sie will ergrauen ohne seelischen Aufwand, und ohne etwas beweisen zu wollen. Sie hat sich nämlich entschlossen, das Altern in Angriff zu nehmen wie eine Pendenz. Eine Pendenz erledigt man, ohne Aufheben zu machen. Erster Akt: Louise tauscht die 40-Watt-Birne im Badezimmer mit einer 60-Watt-Birne aus: Schluss jetzt mit der Sinnestrübung und den Wolken der Illusion, Schluss mit dem Spiegelbild auf Distanz und im Dämmer. Sie blickt nun der Sache ins Auge, dort wo sie sich zeigt, als Kerbe über der Lippe, als Mal auf der Nase, als Rinne und Rune, die sich am Mundwinkel wie ein Fächer gebärden.

Aargauer Zeitung, 10. Januar 2001


«Die Zeiterfahrungen, die sich in den fünf kurzen Erzählungen spiegeln, kommen zwischen spielerischem Kurzweil und langer Weile zu liegen.» Aargauer Zeitung

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